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Was hat meine Oma mit Sokrates zu tun?
- Bernd Offizier
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13 Jahre 4 Monate her - 2 Jahre 1 Woche her #1
von Bernd Offizier
Bernd Offizier antwortete auf Aw: Was hat meine Oma mit Sokrates zu tun?
Lieber Dieter,
Gratulation zu Deiner Oma.
Ja - unsere Omas vom Lande. Sie redeten aus dem Bauch, ohne Rhetorik, jedoch mit Hintergrund.
Vielen Dank für Deine Zeilen.
Liebe Grüße
Bernd
Einige Worte über meine Großeltern:
Meine Großmutter und meinen Großvater habe ich leider nie kennengelernt. Von Erzählungen meiner Mutter weiß ich jedoch: Sie hatten viele Kinder und einen Bauernhof mit "einem Stall" voll Vieh zu bewirtschaften. Dazu war mein Opa noch Küster in Fühlingen vom späteren Kardinal Frings. Die Gesangsproben fanden auf seinem Bauernhof in Feldkassel statt. Böse Wörter gab es nicht. Die Großeltern waren mit ihrer Arbeit glücklich - und heute?
Gratulation zu Deiner Oma.
Ja - unsere Omas vom Lande. Sie redeten aus dem Bauch, ohne Rhetorik, jedoch mit Hintergrund.
Vielen Dank für Deine Zeilen.
Liebe Grüße
Bernd
Einige Worte über meine Großeltern:
Meine Großmutter und meinen Großvater habe ich leider nie kennengelernt. Von Erzählungen meiner Mutter weiß ich jedoch: Sie hatten viele Kinder und einen Bauernhof mit "einem Stall" voll Vieh zu bewirtschaften. Dazu war mein Opa noch Küster in Fühlingen vom späteren Kardinal Frings. Die Gesangsproben fanden auf seinem Bauernhof in Feldkassel statt. Böse Wörter gab es nicht. Die Großeltern waren mit ihrer Arbeit glücklich - und heute?
Letzte Änderung: 2 Jahre 1 Woche her von Bernd Offizier.
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- Dr. Dieter Esser
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13 Jahre 4 Monate her - 2 Jahre 1 Woche her #2
von Dr. Dieter Esser
Was hat meine Oma mit Sokrates zu tun? wurde erstellt von Dr. Dieter Esser
Lebensphilosophie? Oder: Was hat meine Oma mit Sokrates zu tun?
- Gedanken von Dr. Dieter Esser, Erftstadt –
Warum ein solches Thema? So mag der ein oder andere fragen. Und dann in einer Textsammlung wie dieser? Ich will versuchen zu zeigen, dass bestimmte philosophische Einsichten weit tiefer in jedem von uns verankert sind, als man zunächst annehmen könnte.
Die Geschichte der Philosophie beginnt schon im 6. Jahrhundert vor Christus. Da gibt es Namen wie Pythagoras, Thales von Milet, Euklid, Namen, die man vielleicht aus dem Mathematikunterricht kennt. Und da war einer mit Namen Demokrit, der mit seinem Lehrer zusammen die erste Atomtheorie entwickelte: die Welt müsse aus kleinsten unteilbaren Teilchen bestehen, eben dem „a-tomon“ (un – geteilt).
Diese Philosophen aus dem Bereich Griechenland und Kleinasien, der heutigen Türkei, beschäftigten sich mit der Natur, die sie umgab, mit physikalischen Fragen und bildeten Theorien, die erst viele Jahrhunderte später technisch bewiesen werden konnten. Aber es zeigt sich schon hier, wie weit allein die Kraft des Denkens vorstoßen konnte in einer Zeit, in der es weder Mikroskope noch Fernrohre, geschweige denn Kommunikationsmittel wie die unseren gab.
Natur, schön und gut, dachte die nächste Gruppe von Philosophen, angeführt von Sokrates und seinem Schüler Platon. Sie fanden es zwar interessant, über Planeten und Atome nachzudenken, aber viel wichtiger war ihnen: der Mensch. Wie soll der Mensch sich verhalten? Wie kann das Zusammenleben der Menschen funktionieren? Was ist gut, was ist das Böse? Damit war eine Tür aufgestoßen zu einem neuen Denken, einem Denken, das uns als Menschen weiterbringen konnte. Ich will und kann sie nicht alle nennen, aber über die nächsten Jahrhunderte bis in die Neuzeit bildeten sich Denkschulen, die unser tägliches Leben veränderten.
Die Stoiker – der erste war ein gewisser Zenon um 300 vor Christus – lehrten das, was bis heute als „stoische Gelassenheit“ bekannt ist, eine durch nichts zu erschütternde Haltung, die lehrt, wie man auch mit Schicksalsschlägen umgehen kann, ohne sich von ihnen beherrschen zu lassen. Natürlich müssten jetzt all die christlichen Denker genannt werden, Augustinus oder Thomas von Aquin, dann die Wegbereiter der Moderne, etwa der Franzose Jean Jacques Rousseau, der mit seiner Forderung „zurück zur Natur“ – retour á la nature – das heutige Denken maßgeblich geprägt hat. Und natürlich Denker, deren beachtenswerte Werke leider merkwürdige Realisierung erfuhren, wie etwa Karl Marx.
Was ich aber im Titel angekündigt habe, möchte ich nun einlösen, und komme endlich zu meiner Großmutter.
Stellen Sie sich vor: ein regnerischer Tag in Oberliblar in den 70er Jahren. Meine Großmutter ist auf dem Weg von der Wohnung zur Kirche, im strömenden Regen – ohne Schirm. Dabei kommt sie an meinem Elternhaus vorbei. Zufällig sieht meine Mutter ihre Mutter, also meine Großmutter, und ruft ihr zu: „Wat es, Mamm? Siehs de nit, dat et am räne es?“ Das brauche ich wohl nicht zu übersetzen. Wohl aber die prompte Antwort meiner Großmutter: „Och, Mädche, dat mietste jeiht doch donevve!“ - „Och, Mädchen, das meiste geht doch daneben!“ Sie können mir glauben, dass meine Großmutter eine einfache Frau war, ohne höhere Bildung, aber vielleicht könnte man sagen, dass sie außer ihrer
Herzenswärme etwas hatte, das mehr ausdrückte als Philosophiebücher und Lebensberater es formulieren könnten. „Das meiste geht daneben!“ – damit war natürlich zunächst der Regen gemeint; aber blickt man etwas tiefer, dann wird klar: hier hat eine alte Frau, die ein Kind im Krieg verloren hat, die Armut und Entbehrung erleben musste, die viele Schicksalsschläge hinnehmen musste, einen Satz gesagt, der aus ihrem Inneren kam und der mir und vielleicht auch Ihnen, die Sie dies lesen, etwas bedeuten kann, wenn man den Satz auf das gesamte Leben und auf schicksalhafte Situationen überträgt.
Sokrates, Aristoteles, Thomas von Aquin und all die anderen. Schön, dass ihr uns weiter geholfen habt.
Oma, danke für diesen Satz!
- Gedanken von Dr. Dieter Esser, Erftstadt –
Warum ein solches Thema? So mag der ein oder andere fragen. Und dann in einer Textsammlung wie dieser? Ich will versuchen zu zeigen, dass bestimmte philosophische Einsichten weit tiefer in jedem von uns verankert sind, als man zunächst annehmen könnte.
Die Geschichte der Philosophie beginnt schon im 6. Jahrhundert vor Christus. Da gibt es Namen wie Pythagoras, Thales von Milet, Euklid, Namen, die man vielleicht aus dem Mathematikunterricht kennt. Und da war einer mit Namen Demokrit, der mit seinem Lehrer zusammen die erste Atomtheorie entwickelte: die Welt müsse aus kleinsten unteilbaren Teilchen bestehen, eben dem „a-tomon“ (un – geteilt).
Diese Philosophen aus dem Bereich Griechenland und Kleinasien, der heutigen Türkei, beschäftigten sich mit der Natur, die sie umgab, mit physikalischen Fragen und bildeten Theorien, die erst viele Jahrhunderte später technisch bewiesen werden konnten. Aber es zeigt sich schon hier, wie weit allein die Kraft des Denkens vorstoßen konnte in einer Zeit, in der es weder Mikroskope noch Fernrohre, geschweige denn Kommunikationsmittel wie die unseren gab.
Natur, schön und gut, dachte die nächste Gruppe von Philosophen, angeführt von Sokrates und seinem Schüler Platon. Sie fanden es zwar interessant, über Planeten und Atome nachzudenken, aber viel wichtiger war ihnen: der Mensch. Wie soll der Mensch sich verhalten? Wie kann das Zusammenleben der Menschen funktionieren? Was ist gut, was ist das Böse? Damit war eine Tür aufgestoßen zu einem neuen Denken, einem Denken, das uns als Menschen weiterbringen konnte. Ich will und kann sie nicht alle nennen, aber über die nächsten Jahrhunderte bis in die Neuzeit bildeten sich Denkschulen, die unser tägliches Leben veränderten.
Die Stoiker – der erste war ein gewisser Zenon um 300 vor Christus – lehrten das, was bis heute als „stoische Gelassenheit“ bekannt ist, eine durch nichts zu erschütternde Haltung, die lehrt, wie man auch mit Schicksalsschlägen umgehen kann, ohne sich von ihnen beherrschen zu lassen. Natürlich müssten jetzt all die christlichen Denker genannt werden, Augustinus oder Thomas von Aquin, dann die Wegbereiter der Moderne, etwa der Franzose Jean Jacques Rousseau, der mit seiner Forderung „zurück zur Natur“ – retour á la nature – das heutige Denken maßgeblich geprägt hat. Und natürlich Denker, deren beachtenswerte Werke leider merkwürdige Realisierung erfuhren, wie etwa Karl Marx.
Was ich aber im Titel angekündigt habe, möchte ich nun einlösen, und komme endlich zu meiner Großmutter.
Stellen Sie sich vor: ein regnerischer Tag in Oberliblar in den 70er Jahren. Meine Großmutter ist auf dem Weg von der Wohnung zur Kirche, im strömenden Regen – ohne Schirm. Dabei kommt sie an meinem Elternhaus vorbei. Zufällig sieht meine Mutter ihre Mutter, also meine Großmutter, und ruft ihr zu: „Wat es, Mamm? Siehs de nit, dat et am räne es?“ Das brauche ich wohl nicht zu übersetzen. Wohl aber die prompte Antwort meiner Großmutter: „Och, Mädche, dat mietste jeiht doch donevve!“ - „Och, Mädchen, das meiste geht doch daneben!“ Sie können mir glauben, dass meine Großmutter eine einfache Frau war, ohne höhere Bildung, aber vielleicht könnte man sagen, dass sie außer ihrer
Herzenswärme etwas hatte, das mehr ausdrückte als Philosophiebücher und Lebensberater es formulieren könnten. „Das meiste geht daneben!“ – damit war natürlich zunächst der Regen gemeint; aber blickt man etwas tiefer, dann wird klar: hier hat eine alte Frau, die ein Kind im Krieg verloren hat, die Armut und Entbehrung erleben musste, die viele Schicksalsschläge hinnehmen musste, einen Satz gesagt, der aus ihrem Inneren kam und der mir und vielleicht auch Ihnen, die Sie dies lesen, etwas bedeuten kann, wenn man den Satz auf das gesamte Leben und auf schicksalhafte Situationen überträgt.
Sokrates, Aristoteles, Thomas von Aquin und all die anderen. Schön, dass ihr uns weiter geholfen habt.
Oma, danke für diesen Satz!
Letzte Änderung: 2 Jahre 1 Woche her von Bernd Offizier.
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