Auf dem Canal du Midi

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11 Jahre 10 Monate her #1 von Bernd Offizier
Bernd Offizier antwortete auf Aw: Auf dem Canal du Midi
Liebe Sonnhild, lieber Walter,

Eure hervorragende Reise-Schilderung verführt sehr dazu, sie auf der Karte nachzuvollziehen.

Vielen Dank für Euren Bucheintrag

Irene & Bernd

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11 Jahre 10 Monate her - 4 Jahre 4 Tage her #2 von Walter Gollhardt
Auf dem Canal du Midi wurde erstellt von Walter Gollhardt
Mit dem Mietboot auf dem Canal du Midi


Für den Mai 2010 hatte ich mit drei Freunden eine Bootstour auf dem Lot geplant, einem Fluß in Südwestfrankreich, knapp hundert Kilometer vom Mittelmeer entfernt. Das Klima ist dort schon mediterran, es gibt keine Industrie, viel Landwirtschaft und Weinbau. Der Fluß hat sein Bett tief in die Kalkfelsen gefressen, alle Schleusen müssen von den Bootsbesatzungen eigenhändig bedient werden. Allein die wilde und bizarre Landschaft sind schon ein Erlebnis.
Leider hat uns der Wettergott dieses Erlebnis auf dem Fluss nicht gegönnt, denn genau im Mai gab es dort Hochwasser, und die Strömung war daher so stark, dass ein gefahrloser Bootsbetrieb nicht möglich war. So kann es nun einmal auf einem naturbelassenen Fluss gehen.

Auf dem Canal du Midi

Als Alternative habe ich dann eine Strecke auf dem Canal du Midi ausgesucht, mit Start am Mittelmeer von Port Cassafieres in der Nähe von Beziers bis Carcassonne. Ebenfalls eine landschaftlich sehr schöne Strecke, durch die Hügel der Corbieres, bedeckt mit Weinbergen, und einem Weingut schöner als das andere hinter jeder Biegung des Kanals. Gesäumt ist der Kanal auf beiden Seiten von riesigen Platanen und Schirmpinien. Das noch frische Laub der Platanen filtert das Sonnenlicht und erzeugt eine leicht diffuse grünliche Beleuchtung über dem Wasser. Leider sind fast alle Platanen von einer Pilzkrankheit befallen, so dass wohl alle mit der Zeit gefällt werden müssen.
Da die Strecke bis zu unserem Starthafen Port Cassafieres bei Beziers ca. 1.200 Kilometer weit war, haben wir auf der Hinfahrt in Chartres übernachtet. Neben der wunderbaren Kathedrale bot die Stadt bei unserem Besuch eine ganz besondere Attraktion, sämtliche Kirchen und historischen Gebäude wurden abends farbig mit Laserprojektoren angestrahlt. Außerdem war die Kathedrale von innen ausgeleuchtet, so dass wir die bunten Fenster von außen bewundern konnten. Ein wirklich beeindruckendes Schauspiel.

Unser Boot

In Port Cassafieres übernehmen wir dieses Mal ein großes Boot, dreizehneinhalb Meter lang, nicht einfach zu handhaben, es ist aber alles gut gegangen, Dank der elektrischen Bugstrahlruder, die ein Drehen fast auf der Stelle möglich machen. Lediglich einen Fender haben wir uns in einer besonders engen Schleuse abgerissen, den ich aber mit dem Bootshaken wieder einfangen konnte.
Wir haben wirklich wie Gott in Frankreich gelebt, sind häufig in den vielen guten Restaurants überall am Ufer eingekehrt. Wir haben aber auch oft gemeinsam in der großen Bordküche gekocht. Da wir Fahrräder dabei hatten, haben wir auf den kleinen Märkten in der Umgebung dafür immer frische Zutaten eingekauft, bedingt durch die Nähe zum Mittelmeer oft ganz frischen Fisch. Dazu natürlich die Weine der Gegend, und jeden Morgen zum Frühstück noch warmes Baguette und Croissants aus dem Backofen, ein echter Genuss!!
Richtig Arbeit gab es für uns dann an der berühmten Schleusentreppe von Fonserannes. Dort müssen alle Boote in acht Schleusen hintereinander 60 Meter überwinden. Am Morgen geht es bergwärts, am Nachmittag talwärts. Der Wasserdruck ist durch den großen Höhenunterschied doch gewaltig, und man muss das Boot schon ordentlich festmachen. Diese Schleuse ist ein Publikumsmagnet, an dem man schon mal, wenn alles gut geklappt hat, Beifall von den Zuschauern, darunter viele Touristen, bekommt.

Carcassonne

Ein besonderer Höhepunkt war der Besuch in Carcassonne, eine mittelalterliche Stadt, deren markante Türme und Mauern man schon von weitem eindrucksvoll sehen kann.
Bekannt ist Carcassonne vor allem durch den Katharerkreuzzug im 13. Jhdt. In Deutschland nannte man die Katharer verballhornt „Ketzer.“ Viele glauben ja, dass es in der Zeit der Kreuzzüge immer um die sog. Befreiung Jerusalems aus den Händen der „Ungläubigen“ ging. Dieser Kreuzzug im 13. Jhdt. fand aber mit der ausdrücklichen Billigung der „Heiligen Mutter Kirche“ in Südfrankreich statt. Die heute noch unterschwellig vorhandenen Unabhängigkeitsbestrebungen von Paris in Okzitanien, wie die Provence ja auch heißt, gehen auf diesen Kreuzzug zurück.
Die damals als uneinnehmbar geltende schwer befestigte Stadt fiel allerdings im August 1209 den Kreuzfahrern unter Simon de Montfort durch Verrat in die Hände. Der junge Vincomte Raymond Roger Trencavel, der die Stadt durch Verhandlungen retten wollte, wurde einfach eingekerkert, und die Stadt damit zur Übergabe gezwungen.
Trencavel begegnet uns in der späteren mittelalterlichen Sagenwelt als der edle Ritter Parzival wieder, seine direkten Nachkommen, die angeblich als einzige das große Katharergemetzel auf der letzten Zufluchtstätte der Burg Montsegur überlebt haben, als „Kinder des Gral.“
Die Innenstadt von Carcassonne ist heute der größte erhaltene mittelalterliche Komplex weltweit. Walt Disney war so begeistert, dass die Stadt ihm als Vorbild für seine Schneewittchenverfilmung diente.
Von 1844 bis 1930 wurde die Stadt restauriert, um den doch fortschreitenden Verfall zu stoppen.
Natürlich ist die Stadt heute touristisch voll erschlossen, und im Juli oder im August möchte ich nicht dort sein. Wir hatten im Mai Glück, denn der Andrang war doch erträglich.
Am beeindruckendsten finde ich den Blick aus größerer Entfernung auf die auf einem Hügel liegende Stadt, denn dann kann man erst die mächtigen Befestigungsmauern und die 52 Türme sehen.
Am letzten Tag unserer Bootsreise begann dann um die Mittagszeit der große Regen. Ich hatte zum Glück einen Regenanzug dabei, so dass der Schleusendienst nur zur Folge hatte, dass ich äußerlich klatschnass war.
Bei Malpas ging es dann noch einmal durch einen fast 500 Meter langen Schiffstunnel, so schmal, dass recht und links nur vielleicht zwanzig Zentimeter Platz waren.
Wenn man bedenkt, dass die Anfänge des Canal du Midi auf die Zeit der Römer in Gallien zurückgeht, und die jetzt 240 Kilometer von Sete bis zur Garonne aus der Zeit Ludwigs des 14. stammen, dann haben die alten Baumeister ein bewundernswertes großes Wissen und Können gehabt, ohne Lasermessung, Bagger und Tieflader. So fügt sich der Kanal harmonisch in die Landschaft ein. Die teilweise engen Windungen und Schleifen nutzen dabei auch den allerkleinsten Vorteil aus, um mit minimalem Aufwand das bestmöglichste Ergebnis zu erzielen. Die an seinen Rändern angepflanzten Platanen und Pinien bilden mit ihrem mächtigen Wurzelwerk eine ganz natürliche Uferbefestigung, in der Bisam und Wasserschildkröten leben.
An schönen ruhigen Stellen haben wir oft einfach angelegt, übernachtet oder nur eine Pause gemacht, die Aussicht oder einfach die Ruhe genossen. Nach ein paar Stunden auf dem Kanal mit max. 8 Stundenkilometern Geschwindigkeit, lernt man die Langsamkeit schätzen. Man fällt einfach aus der Zeit, Hektik, Lärm oder Termindruck sind auf einmal wie weggeblasen. Wir alle haben diese Zeit sehr genossen. Vor allem die Abende an Deck, mit gutem Essen, Wein und interessanten Gesprächen werden mir in guter Erinnerung bleiben.
Letzte Änderung: 4 Jahre 4 Tage her von Walter Gollhardt.

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