Mein Weg,  

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10 Monate 3 Wochen her - 10 Monate 3 Wochen her #1 von Inge Nölke
Mein Weg,   wurde erstellt von Inge Nölke
Viel zu früh fuhr der letzte Bus; nun muss ich aus der Stadt hinaus, hoch zu unserer neuen Wohnung zu Fuß gehen. Die Strecke ist mir noch unbekannt. Mein Weg führt ins Dunkel. Hastig eile ich den Kirchberg hinauf. Obwohl ich Bäume sehr mag, erscheinen mir diese inzwischen fast bedrohlich die menschenleere Straße zu verdüstern. Selbst die Häuser liegen unnahbar hinter ihren gepflegten Vorgärten.

Außer meinem schweren Atem ist in dieser Gegend kein menschliches Geräusch zu vernehmen. Mich fröstelt. Bin ich auf dem richtigen Weg? Alles ist mir so fremd. Zweifel verfinstern meinen Weg, den die Angst erschwert. Meine Gelenke schmerzen von den monatelangen mühseligen Umbauarbeiten und dem Umzug. Obwohl wir die unangenehmsten Dinge wie Stämmen, Wände herausschlagen, Schutt schleppen usw. selbst machten, verteuerte sich alles um ein Vielfaches.

Meine Beschäftigungslosigkeit – die Firma wurde kürzlich nach Frankreich verkauft – bescherte mir einesteils die erforderliche Freizeit, andererseits hätten wir das Geld ausgerechnet jetzt gut gebrauchen können. Mein Leben hatte sich grundlegend geändert in den vergangenen Monaten durch den Umzug in die fremde Stadt und den Verlust meines Arbeitsplatzes. Die Ereignisse hatten sich überschlagen. Ich war wie gelähmt, konnte kaum richtig denken und versuchte krampfhaft, meine Situation als neue Chance anzunehmen. Aufkeimende
 Zweifel blockte ich sofort ab.

Hinsichtlich meiner Beschäftigungslosigkeit war es sicher das Beste, dass in unserer neuen Wohnung viel zu tun war. Ändern konnte ich momentan ohnehin nichts, wahrscheinlich wollte ich es auch gar nicht, denn genau genommen hatte ich keinen Bock mehr auf frühes Aufstehen usw. .... Schließlich stand ich vom vierzehnten Lebensjahr an im Berufsleben und verrichtete einen Job, der zumindest in den ersten Jahren nicht meinen Neigungen entsprach. 
 Der Wandel kam mit der Einführung von Computern. Diese Technik hat mir sofort Spaß gemacht.

So habe ich meinen Beruf in den vergangenen Jahren echt gerne ausgeübt. Mit meiner Jugendfreundin träumte ich damals von einem unbeschwerten Leben, in dem wir nur das zu tun brauchten, was uns Freude bereitete. Ich wollte die ganze Welt sehen und malen. Weil zum Reisen das nötige Geld erst verdient werden musste, erfüllte ich brav meine Pflichten. 

Wie oft hatte ich wohl gesagt:
Wenn ich genug Zeit hätte, würde ich ....“tja, was wollte ich nicht alles machen, wenn ich nicht meine Zeit mit Arbeit zu vertun brauchte. Wahrscheinlich hatte ich mir aus diesem Grund während meiner Arbeitslosenzeit alle möglichen Volkshochschul-Kurse an den Hals gehängt, um versäumtes krampfhaft nachzuholen. Vieles hatte ich mir ganz anders vorgestellt. Bei einigen Dingen, die mir Spaß machen sollten, musste ich schmerzlich feststellen, dass sie nicht meinen Fähigkeiten entsprachen.

Diese Erkenntnis hob nicht gerade mein Selbstwertgefühl. War ich überhaupt in der Lage, etwas richtig gutzumachen? Oder war es zu spät, Neigungen beliebiger Art zu fördern? Es beschlich mich der Verdacht, dass ich gar keine Talente besaß, die gefördert werden konnten. War dies die berühmt-berüchtigte Midlife-Crisis? Bisher war ich immer stolz auf mein Alter und habe furchtlos mit positiver Lebenserwartung in die Zukunft geschaut. Wenn ich wirklich einmal nicht mehr weiterwusste, habe ich mich einfach auf meinen Schutzengel verlassen.

Depressiven Phasen bei anderen stand ich immer verständnislos gegenüber, Fazit kann ich bei mir solche negativen Gedanken noch viel weniger akzeptieren. ´Jetzt nur keine Panik; du hast dir zu viel auf einmal zugemutet, schließlich bist du ja wirklich nicht mehr die Jüngste. So verkrampft lässt sich nichts Positives erreichen.  
Tapeziert hatte ich auf jeden Fall prima, das bestätigte jeder, obwohl das nicht so einfach war, weil die Räume ineinander übergehen, mit einer Treppe zum Wohnzimmer.

Ein schwacher Trost, weil Tapezierer nicht zu meinen Traumberufen gehörte. Unser ganzes Geld ist für die Wohnung draufgegangen .... wie lange werde ich nun auf die nächste Reise warten müssen?

Wenn ich hier erdrückt werde von, .... genau genommen, nur von meinen eigenen dummen Gedanken, wollte ich Abstand gewinnen durch neue Eindrücke, um mein Denken neu zu orientieren. Sozusagen das Gehirn gleich einer Festplatte formatieren und alles neu einspielen. Hier gelang mir das einfach nicht. Reisen bedeutet mir sehr viel mehr als nur Urlaub machen. 

Die neue Wohnung ist zwar erheblich geräumiger und heller als unsere alte, aber in Pulheim hatten wir uns immer, genauer gesagt: meistens wohl und geborgen gefühlt, mit unseren Freunden in der Nähe. Hätten wir uns die ganze Mühe und den Aufwand vielleicht besser erspart und wären geblieben, wo wir waren?


Jedoch, in den vergangenen Jahren hatte uns der Platzmangel schon öfter gestört und auch andere Kleinigkeiten, die sich künftig sicher vermehrt hätten, vor allem weil ich mehr zu Hause gewesen wäre, ohne Job. Einesteils bewundere ich Menschen, die immer genau wissen, was gut und richtig ist. Natürlicher und menschlicher wäre es allerdings, wenn sie auch Zweifel hätten. Vielleicht geben sie es nur nicht zu.

Denn ich kann mir ein so aalglattes Schicksal kaum vorstellen, dass jeder Entscheidung seines Klienten immer tatenlos zustimmt. Jahrelang habe ich in im Industriegebiet Hürth-Efferen gearbeitet. Als ich damals auf der Kalscheurener Straße zur Firma ging, sahen sich fast alle Leute nach mir um. Ich sah nicht schlecht aus. ´Wenn hier Leute vom Film vorbeikämen, würde ich bestimmt einen interessanteren Job angeboten bekommen, ging es mir öfter durch den Kopf. Woran ich konkret gedacht habe, ist mir unklar, denn Schauspielern war nie mein Ding.

Zu dieser Zeit hatte wahrscheinlich noch niemand auch nur den leisesten Gedanken an Filmstudios in Kalscheuren verschwendet. Mittlerweile verkehrt dort viel Prominenz, aber für mich spielt es keine Rolle mehr. Es ist nur hochinteressant, wie sich die Dinge in Richtung meiner Gedankenspiele entwickelt haben. Auf diesem Weg habe ich auch meinen Schutzengel erkannt. In einer lang gezogenen Kurve musste ich an einer hohen, langen Mauer entlanggehen. Oft rasten die Autos derart, dass ich erleichtert war, wenn dieses Stück hinter mir lag.

Eines Morgens blieb ich aus unerklärlichen Gründen vor dem Beginn dieser Mauer in einer Einfahrt stehen. Alles war ruhig, kein Auto in Sicht. Plötzlich kam ein Pkw mit Anhänger angeschossen. Er fuhr so schnell, dass der kleine Anhänger in der Kurve über den Bürgersteig schleifte und an der Mauer entlang schrammte. Wäre ich weitergegangen, hätte es mir die Beine abrasiert.

Für den glücklichen Ausgang danke ich wieder mal meinem Schutzengel. Ähnlich erging es mir an gleicher Stelle im Winter. Weil mir der Bürgersteig entlang der Mauer bei der Schneeglätte zu gefährlich war, wechselte ich die Straßenseite.

Nun musste ich aber wieder zurück. Der auf beiden Straßenseiten angehäufte Schnee erschwerte meinen Weg. Einen Hügel hatte ich überwunden und stand auf der verengten, schneeglatten Fahrbahn, als ein dunkelblauer BMW auf mich zufuhr. Er war bereits so nahe, dass ich genau das Markenzeichen auf der Kühlerhaube erkennen konnte. (Autos interessieren mich nicht besonders, sodass ich sie ausschließlich am Markenzeichen erkenne.)

Mit den dünnen Ledersohlen meiner Büroschühchen fand ich wenig Halt auf dem Schnee. Sehnsüchtig schaute ich nach dem rettenden Ufer hinter dem Schneehügel. Ich war starr vor Schrecken. Es blieb keine Zeit. Meiner Ausweglosigkeit bewusst schloss ich die Augen und ergab mich in mein Schicksal. Als ich nach einer endlosen Weile die Augen öffnete, wusste ich nicht, was geschehen war.

Ich stand indessen hinter dem Schneehügel auf dem rettenden Bürgersteig und sah dem dunklen Wagen nach, der hinter der Kurve verschwand.  Seitdem ich zum ersten Mal den Kirchberg hinaufgegangen bin, ist jetzt gut ein halbes Jahr vergangen. Nach dem entspannenden Yogakurs bin ich auf meinen vertrauten Heimweg. Schützend breiten die Bäume ihre Äste über die menschenleere Straße. Vogelgezwitscher begleitet mich. Mit ihren schmucken Vorgärten verleihen alte Villen der breiten Allee einen prachtvollen Rahmen.

Ein leichter Windhauch umschmeichelt mich mit Blütenduft. Ich genieße die wohltuende Stille und schlendere unserer schönen, neuen Wohnung entgegen. 

  Frühere Arbeitskollegen haben sich in Frechen selbstständig gemacht und mich mit ins Boot geholt. Unser nächster Urlaub ist schon gebucht, eine Mittelmeer-Kreuzfahrt.   
Bilderquellen Internet, kostenlos.
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Letzte Änderung: 10 Monate 3 Wochen her von Inge Nölke.
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