Augenblicke der Furcht beim Gala-Abend auf Kreuzfahrt,

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10 Monate 1 Woche her - 10 Monate 1 Woche her #1 von Inge Nölke
Wahrscheinlich waren die negativen Eindrücke nur eine Reflexion meiner eigenen schlechten Verfassung. Ich war total groggy von der langen Busfahrt: nachmittags ab Köln, die Nacht hindurch bis Genua.

Zur Krönung der Strapaze wurden wir im „sonnigen“ Italien mit Regen empfangen. Dann nervten auch noch die vielen Menschen in der Abfertigungshalle.

 
Wen wundert’s, dass ich missmutig das Schiff bereits mit Unbehagen betrat?
Zudem glaubte ich, so manchem Crew-Mitglied die Anstrengungen der nach dieser Reise endenden langen Saison anzumerken, obwohl sich alle redlich bemühten, mit letzter Kraft die Mundwinkel hochzuziehen zu einem Lächeln.

Vielleicht wäre es besser gewesen, das Sonderangebot sausen zu lassen
Ein junger Indonesier führte uns zum Aufzug. Dann ging es abwärts, tief in den Bauch des Schiffes, von Etage zu Etage zunehmend durch unangenehme Beklemmungsgefühle begleitet.

Schaudern befiel mich beim Anblick der schweren Eisentüre direkt neben unserer Kabine. Sofort kamen mir die schrecklichen Bilder der zahlreichen Filme vom Albtraumschiff Titanic ins Gedächtnis, wo das Schließen dieser Türen verhinderte, daß die Menschen von den unteren Decks nach oben gelangen konnten.

Warum sich sorgen: Was wäre, wenn ....? Das bringt nur unnötigen Stress und ändert nichts. Nach einer entspannenden Ruhepause würden die düsteren Gedanken sicher verflogen sein.

„Du hast die Reise unbedingt gewollt. Jetzt genieße auch gefälligst deinen Urlaub!“

Hätte ich mit meinem Mann über meine Ängste gesprochen, wäre dies wahrscheinlich in etwa sein Kommentar gewesen, nicht ganz so extrem, aber zumindest sinngemäß.

Geprägt von fast dreißig Jahren Ehe schwieg ich in weiser Voraussicht, um die fröhliche Stimmung meines Mannes zu bewahren und weder diesen noch kommende Urlaube infrage zu stellen, zumal das Reisen in erster Linie meine Passion ist.

Für den Fall des Falles prägte ich mir allerdings unseren Fluchtweg über die vielen Treppen nach oben vorsichtshalber genau ein.

- Ägypten - Libanon - Syrien – usw. Ganz besonders freute ich mich auf Damaskus, wohin meine Gedanken krampfhaft gelenkte wurden, wenn ich sie wieder auf pessimistischen Wegen ertappte.

Es war Ende November. Ein Herbststurm peitschte das Mittelmeer, als wollte er sich ungestüm mit den Wellen vereinigen. Unser Schiff schien dieser Koketterie als Spielball zu dienen.

Völlig den Naturgewalten ausgeliefert an Bord eines Schiffes auf seiner letzten Fahrt der Saison, dessen unruhig ausschlagende Welle bereits unüberhörbar nach der Werkstatt rief, brachte auch meinen unverdrossenen Willen zum vorbehaltlosen

Urlaubsgenus manches Mal ins Wanken. Ganz zu schweigen von der chaotischen Rettungsübung, wobei ich mir zum Trost sagte, dass auf schlechte Generalproben in aller Regel die besten Aufführungen folgten.

Ich war ständig hin- und hergerissen zwischen der Faszination des beeindruckenden Naturschauspieles und meinen schwelenden Ängsten.

Alle Lautsprecher hatten verkündet, dass niemand nach draußen gehen sollte. Neugierig unterschätzte ich jedoch die Warnung, bis mich eine Böe erfasste und beinahe weggeweht hätte. Nur mit größter Mühe konnte ich mich am Geländer festhalten.

Die Gischt spritzte in mein Gesicht, wahrscheinlich um nachzusehen, welcher Dummkopf sich bei diesem Sturm an Deck wagte. Es war tatsächlich zu gefährlich, sodass mein Spaziergang an der frischen Luft für diesen Abend rasch endete.

Das hervorragende Gala-Dinner konnten wir auch nicht so recht genießen angesichts des leidenden Personals, das zwischen den meist leeren Tischen ausharren musste.

An Bord gab es keine Tabletten mehr gegen die Seekrankheit.

Mir wurde es zwar stellenweise mulmig, vor allem, wenn ich Leidende sah oder noch schlimmer, die unvermeidlichen Folgen dieser Krankheit roch. Aber ansonsten blieben mein Mann und ich zum Glück verschont. Wohingegen unsere neuen Bekannten alle krank in ihren Kabinen lagen.

Trotzdem wollte ich jetzt nicht gerne nach unten in unsere Kabine gehen, wo mir die Geräusche und Bewegungen des Schiffes viel extremer vorkamen. Zusammen mit den anderen Menschen hier oben fühlte ich mich geborgener.

Nun hoffte ich auf Ablenkung durch die abendliche Show. Die Leute im spärlich besuchten Theater schienen ähnlich zu denken und warteten gelangweilt auf Unterhaltung. Schließlich war heute Gala-Abend und jeder hatte sich entsprechend aufwändig gekleidet und zurechtgemacht, was die Erwartung steigerte.

Bei besonders heftigem Schwanken des Schiffes hatte ich das Gefühl, dass wir alle gemeinsam die Luft anhielten. „Kein Problem, wenn wir untergehen. Das ist doch nicht unser Schiff“, war der Kommentar meines Mannes.

Die Zeit schleppte sich träge dahin. Die Band bedurfte offensichtlich auch längst einer Pause von dem Geschaukel auf der Bühne und wiederholte bereits Lieder Ihres Repertoires. Das ganze Szenario kam mir ziemlich dekadent vor und ließ wieder Erinnerungen an die Titanic wach werden.

Dann verkündete jemand, dass die Show wegen des starken Seeganges nicht stattfinden könnte. Mit neuem Elan spielten die Jungs nochmals „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt“. Einige Paare versuchten sogar zu tanzen, um etwas Aufmunterung in die öde Stimmung zu bringen.

Die willkommene Abwechslung wurde vom Publikum sofort mit heftigem Beifall begrüßt. Jedoch konnten die Tänzer kaum das Gleichgewicht halten, geschweige denn, der Musik mit angemessenen Schritten folgen.

Fast wären sie hingefallen und mussten schließlich den ungleichen Kampf mit den Elementen erfolglos aufgeben.
Etliche Leute zogen sich nun zurück und schafften somit noch mehr Raum für die beklemmende Atmosphäre.

Eigentlich war ich hundemüde, aber der Gedanke an unsere Kabine im Unterdeck mit einem kleinen Bullauge war mir unheimlich. Außerdem würde ich bei diesem Wetter ohnehin nicht schlafen können.

So machten wir noch eine Runde durchs Schiff und betrachteten durch die großen Fenster im Oberdeck das gewaltige Meer. Mein Mann drängelte, dass er jetzt endlich schlafen gehen wollte, aber meine Furcht war stärker als die Müdigkeit und ich versuchte ihn mit einem Gespräch festzuhalten.

Plötzlich gesellte sich ein junger Mann zu uns. „Da hinten ist eine große Glastür zu Bruch gegangen. Man hätte dort besser stabile Eisentüren anbringen sollen. Zudem fahren wir viel zu schnell für die raue See. Meinen sie nicht auch?“ sagte er verängstigt.
„Ach wo!“, hörte ich mich antworten, „Die Türe hatte schon vorher einen Knacks und der Wind hat ihr nur den Rest gegeben.

Unser Schiff ist für diese Geschwindigkeit ausgelegt; es fährt also keineswegs zu schnell. Zudem ist es ein gutes und verhältnismäßig neues Schiff.“
„Sie glauben also nicht, dass wir uns überhaupt Sorgen machen müssen?“ wollte er schüchtern eine Bestätigung meiner zur Schau getragenen, offensichtlich überzeugenden Furchtlosigkeit.

„Auf gar keinen Fall! Wir befinden uns wirklich auf einem guten Schiff, das bestens für den hohen Seegang geeignet ist. Dieses kleine Abenteuer mit dem beeindruckenden Naturschauspiel können sie ganz bedenkenlos genießen.“

Einen Augenblick verharrte er nachdenklich, dann entspannte sich seine Miene und mit einem freundlichen „Gute Nacht!“ verschwand der junge Mann sichtlich beruhigt im Treppenhaus.

Dass ich so überzeugend war, erfüllte mich mit Wohlbehagen. Meine Ansprache hatte also nicht nur dem Mann die Angst genommen, sondern auch mir selbst, weil ich schließlich wahrheitsgemäß berichtete.

Nun gingen wir beruhigt zu unserer gemütlichen Kabine und ließen uns in den Schlaf schaukeln.
 
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Letzte Änderung: 10 Monate 1 Woche her von Inge Nölke.

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